Ohne Konsens kein Standard
Interview mit Dominique Tanner und Sandra Roth, den Verantwortlichen des ISO/TC 68/SC 8 «Reference Data for Financial Services». Dem Sub Committee des ISO/TC 68 (Financial Services), welches den Fokus auf die Standardisierung im Bereich der Referenzdaten für Finanzdienstleistungen richtet.
Die Plenarsitzung vom ISO/TC 68 und den Sub Committees (SC) 2, 8 und 9 fand im September bzw. Oktober 2021 statt. Wie habt ihr diese Zeit als Chairperson und Committee Manager des ISO/TC 68/SC 8 erlebt?
Die Plenary Meeting-Zeit ist immer eine spezielle Zeit, weil wir in unmittelbaren Kontakt mit unseren Mitgliedern treten. Wir bekommen ihre Anliegen mit und haben die Möglichkeiten zum Austausch und Diskutieren. Die Vorarbeiten für das Meeting sind erheblich. Es müssen von sämtlichen Ländern, Liaison-Organisationen und den diversen Arbeitsgruppen die Berichte zeitgerecht eingefordert sowie die Agenda und Inhalte abgestimmt werden. Zusätzlich bestehen klare ISO Vorgaben, was die Struktur, Inhalte und Prozesse des Plenary Meetings betreffen, die eingehalten werden müssen. Letztes Jahr und dieses Jahr haben die Meetings leider nur online und deswegen verkürzt stattfinden können. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Austausch mehr auf Updates reduziert war. Da bereits die meisten Arbeitsmeetings unter dem Jahr virtuell durchgeführt werden, auch ohne Pandemie, war es umso einschneidender, dass das physische Meeting nicht stattfinden konnte. Wir schauen nun auf das Jahr 2022 und hoffen, dass wir das nächste Plenary Meeting in Oslo (Norwegen) wieder physisch durchführen können.
DIE INTERVIEWPARTNER
Dominique Tanner
Chairperson ISO/TC 68/SC 8
Sandra Roth
Committee Manager ISO/TC 68/SC 8
Was sind eure Aufgaben als Chairperson und Committee Manager?
Die Chairperson eines Committees muss sicherstellen, dass der Business Plan konsistent und im Rahmen der ISO Direktiven und Committee Strategie umgesetzt wird. Die Rolle der Chairperson ist es, dem Committee zu helfen, international akzeptierte Standards zu erarbeiten. Dies umfasst das Moderieren der Chair Committee Meetings und das Sicherstellen, dass alle Positionen gehört und verstanden, sowie alle Entscheide klar formuliert werden. Die Chairperson hat auch ein inhaltlich gutes Verständnis für das Portfolio und kann, wenn nötig, steuernd und unterstützend einwirken. Auch muss schlichtend eingegriffen werden, falls es in Arbeitsgruppen zu Konflikten oder Problemen kommen sollte.
Zusätzlich ist die Vertretung des Committees nach aussen sicherzustellen. Ein Committee Manager ist vergleichbar mit einem Projekt Portfolio Manager: es gibt eine Project Governance, entlang welcher Projekte (die Entwicklung neuer oder sich in Revision befindender Standards oder Dokumente) umgesetzt werden. Committee Manager planen die Projekte zusammen mit den Projektleitern, begleiten die Projekte aktiv, beraten die Arbeitsgruppen und arbeiten zum Teil auch konkret an der Erarbeitung der Projektziele mit. Auch die Vorbereitung und Durchführung des Committee Meetings wird hauptsächlich durch die Committee Manager vorgenommen. Dazu braucht es ein gutes Verständnis der ISO Direktiven, Prozesse und Tools und viel Erfahrung im Projektmanagement. Eine gute Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Chairperson, den Projektleitern und Members ist hierzu sehr wichtig. Eine Spezialität in der Schweiz gegenüber anderen Ländern ist, dass die Rolle des Committee Managers von der Finanzindustrie gestellt wird und nicht vom nationalen Normierungsverein (CH = Schweizerische Normen-Vereinigung, SNV).
Seit wann seid ihr in eurer ISO-Rolle? Und wie kam es dazu, dass ihr euch zur Verfügung gestellt habt?
Dominique Tanner: seit 01.01.2019
Sandra Roth: seit 01.12.2018
Primär war unser Interesse an diesen neuen Aufgaben ausschlaggebend. Zusätzlich bestand schon eine gewisse Nähe zu den ISO-Themen und eine breite Erfahrung im Projektmanagement. Auch die positive Einstellung gegenüber diesen Aufgaben und der allgemeine Support der Standards-Arbeit durch das SIX Management half uns bei der Entscheidung. Speziell an der Übernahme war, dass die Chairperson gleichzeitig mit dem Committee Manager ersetzt werden musste. Dadurch mussten gleich zwei neue Mandatsträger eingearbeitet werden
You are not a political person, but you are politically astute.
Welche Herausforderungen stellten sich euch bei der Übernahme der Aufgaben vom Sub Committee 8?
Wichtig ist zu wissen, dass dies für alle Experten (Mitglieder, Partner, Interessengruppen etc.) in einer ISO Kommission ein Nebenjob ist. Wir arbeiten bei ISO international und firmenübergreifend im Milizsystem. Wir sind keine kommerzielle Organisation im Gegensatz zu unserem Arbeitgeber. Für uns als Chair und als Committee Manager trifft dies ebenfalls zu. Dieses System erschwert das Delegieren und Einfordern von Resultaten. Auch die Kommunikation innerhalb des Committees und zwischen den einzelnen Sub-Gruppen ist sehr anspruchsvoll. Als Chair und Committee Manager können wir nicht einfach anordnen und Aufträge verteilen. Ganz wichtig ist auch, dass wir unparteiisch sein müssen und Entscheide im Committee im Konsens herbeigeführt werden. Ohne Konsens kein Standard. Zusätzlich bestehen bei ISO in Form eines «Code of Conduct» klare Vorgaben für die Zusammenarbeit. Sollte es für einmal zu politisch werden, dann gibt es auch da einen Grundsatz für uns: «You are not a political person, but you are politically astute.» Durch all diese Eigenheiten entsteht eine komplett andere Arbeitskultur im Vergleich zu unserer angestammten Arbeit bei der SIX Financial Information.
An welchen Themen arbeitet(e) das ISO/TC 68/SC 8 im laufenden Jahr?
Wichtige Aufgaben im Jahr 2021:
- Durchgeführte Revisionen: CFI und ISIN
- Abgeschlossene neue Standards: DTI, NPI, UPI und OOR
- Laufende oder geplante Tätigkeiten: BPoS Best Practices, NPI Teil 2, Revision FISN und Study Group Digital Wallet Identification
Was sind die Besonderheiten bezüglich der Zusammenarbeit innerhalb der ISO?
Zwei Besonderheiten sind zu erwähnen: Einerseits die internationale Zusammenarbeit mit Fokus auf «working for the greater good» und Konsens sowie die sehr stringenten Direktiven und Prozesse (viele Formalismen). Zur Unterstützung ist jedem ISO-Committee ein Technical Programme Manager (TPM) vom ISO Zentralsekretariat beratend zu ISO-Richtlinien, -Verfahren und allen Arbeitsprogrammangelegenheiten zugewiesen. Die TPM Person ist auch die primäre Kontaktstelle zwischen den Ausschüssen und dem ISO Central Secretariat. Das TMB (Technical Management Board) ist ein ISO-internes Gremium, welches für das ISO General Management verfahrenstechnische Fragen klärt, die Arbeiten in allen Committees beobachtet und koordiniert sowie Business Pläne bewilligt.
Auf welche Erfolge ist das ISO/TC 68/SC 8 besonders stolz?
Mit der Übernahme der Ämter übernahmen wir auch ein umfangreiches Portfolio an publizierten Standards, laufenden oder anstehenden Standards-Arbeiten und diverse dem Committee zugewiesenen Arbeitsgruppen. Die diversen laufenden Projekte konnten in vielen Fällen vor den offiziellen Zeitvorgaben abgeschlossen werden. Dies war auch nur möglich, da wir in unserer Kommission immer genügend Fachexperten zu den jeweiligen Themen zur Verfügung hatten. Zudem bestand grosses Interesse an den Standards seitens des Finanzmarktes und der Regulatoren (z.B. UTI & UPI). Zusätzlich konnten wir unser Standards-Portfolio in Richtung «Digitalisierung» weiter öffnen. Beispiele dafür sind «Digital Token Identifier», «Digital Currency» und «Digital Wallet Identifier». Damit wollen wir die Relevanz des ISO/TC 68/SC 8 und damit die Weiterentwicklung der entsprechenden Standards für die Zukunft sicherstellen.
Die kürzeste Entwicklungszeit für einen Standard sind 18 Monate.
ISO benötigt viel Zeit für das Publizieren eines neuen Standards. Warum dauert das so lange?
Je klarer die Idee und die Zielsetzung für ein neues Projekt definiert ist, desto schneller kann ein Standard entwickelt werden. Die kürzeste Entwicklungszeit für einen Standard sind 18 Monate. Dies ist möglich, wenn schon eine recht klare Vorstellung zum Inhalt eines Standards besteht. Die längste Entwicklungszeit beträgt 36 Monate. Diese Zeit ist dann notwendig, wenn eine Working Group bei Null startet und sich zuerst bezüglich des Inhaltes abstimmen muss. Viele Arbeitsschritte während der Entwicklung eines Standards sind durch ISO vorgegeben. Das sind vor allem die Schritte, welche die erarbeiteten draft Dokumente durchlaufen müssen, um von den entsprechenden Entscheidungsgremien einen Entscheid zu bekommen. Da je nach Land die nationalen Standardorganisationen unterschiedlich organisiert sind, sind solche Abstimmungen auf 12 Wochen Dauer festgelegt. Die eigentliche Publikation eines fertigen Standards selbst dauert dann jeweils auch nochmals 8–12 Wochen.
Dass sich die Leitung des SC 8 in der Schweiz befindet, ist für uns als SASFS etwas Besonderes. Inwiefern beeinflusst das eure Zusammenarbeit mit der SASFS im Vergleich zu den Standardisierungsgremien international?
Es muss eine klare Abgrenzung zwischen der ISO/TC 68/SC 8 Leitung und der SASFS bestehen, da die SC 8 Leitung neutral gegenüber allen beteiligten Ländern sein muss. Ebenfalls muss zwischen der SC 8 Leitung und SIX als Arbeitgeberin die Unabhängigkeit sichergestellt werden. Trotz diesen klar definierten Rollen bei ISO ist ein regelmässiger Informationsaustausch zwischen dem SC 8 und der SASFS sehr willkommen und gibt uns Einblicke in die Arbeit der nationalen Standardisierungsarbeit.
Was wollt ihr in eurer Rolle im SC 8 in naher Zukunft erreichen? Welche wichtigen Themen stehen auf eurer Agenda?
Wir wollen relevant sein für die globale Finanzindustrie und entsprechend auf die anstehenden Bedürfnisse in diesem Umfeld eingehen. Für die Nutzer der Standards weiterhin einen Mehrwert schaffen ist uns ein grosses Anliegen. Wir werden versuchen, weitere Interessengruppen in die Standards-Arbeit zu integrieren und die Digitalisierungsthemen in den Standards voranzutreiben.
Lieber Dominique und liebe Sandra, vielen Dank für die vertieften Einblicke in eure Arbeit.