BAH – Vom hässlichen ­Entlein zum schönen Schwan

Nachdem der ISO 20022-Standard 2004-2005 das Licht der Welt erblickte und fortan die Automatisierung der operationellen Prozesse der Finanzindustrie ermöglichen sollte, kam vor circa 10 Jahren die Idee auf, die Verarbeitung der Meldungen des ISO 20022-Standards für alle relevanten Bereiche (Zahlungsverkehr, Wertschriften, Devisen, Karten oder Handelsfinanzierung) zu vereinheitlichen. Überall sollte die Verarbeitung der ISO 20022-Meldungen auf Basis einer einheitlichen Adressierung erfolgen. Der Schlüssel zu diesem Ziel war der sogenannte ISO 20022 Business ­Application Header (BAH).

Wie die Briefvorlage der Post

Das Vorgehen beim BAH ist vergleichbar mit den bewährten Briefvorlagen im Postwesen. Durch die Standardisierung des Briefkopfs, auf dem Absender- und Empfängerangaben, Datum, Betreff und weitere wiederkehrende Angaben an einer genau definierten Position vorgesehen sind, ermöglichte die Nutzung von Briefumschlägen mit Adressfenstern die automatisierte Weiterleitung in den Verteilerzentren der Post, und dies unabhängig vom weiteren Briefinhalt sowie der Grösse und Art des Briefes.
Nachdem in den Anfangsjahren des ISO 20022-Standards der Fokus auf der Entwicklung von Meldungen für die einzelnen Finanzbereiche lag, verschob sich mit der steigenden Verfügbarkeit der fertigen Meldungs-Sets der Schwerpunkt auf die Implementierung von Dienstleistungen und Lösungen, die mit Hilfe der ISO 20022-Meldungen die entsprechenden operationellen Prozesse automatisierten – der Anfang der Digitalisierung in der Finanzindustrie.
Im Schweizer Markt befasst sich die SASFS Technische Kommission Standards Technology and Methodology (TK STM) unter der Leitung von Martin Walder (Credit Suisse) mit dieser Herausforderung. Schnell wurde den Standards-Experten in der TK STM klar, dass die Vereinheitlichung der Adressierung nicht bei der eindimensionalen Vereinheitlichung über die Anwendungsbereiche hinweg aufhören musste. Vielmehr kamen die Experten zu der Einsicht, dass ein nicht unwesentliches, weiteres Automatisierungspotenzial bestand, falls man in der Lage wäre, bereits im BAH die relevanten Market-Practices bezogen auf ein und dasselbe Message-Set unterscheiden zu können. Die Vision einer mehrdimensionalen Adressierungsautomatisierung war geboren, mit deren Hilfe die Weiterleitung (Routing), Validierung, Archivierung, Indexierung, Filter-und Sortierfunktionen, selbst über untereinander verbundene Netzwerk-Topologien hinweg realisiert werden können.
Bereits an der Sitzung der ISO 20022 Registration Management Group (RMG) in Tampa (USA) im Oktober 2014 stellte der Leiter der Schweizer RMG-Delegation, Rainer Vogelgesang (SIX Securities & Exchanges) den Antrag, die technische Untergruppe der RMG, die ISO 20022 Technical Support Group (TSG), mit der Evaluierung des Schweizer Vorschlags der Erweiterung des BAH um einen Mechanismus zur Identifikation von Market-Practices zu betrauen.

Erfolgsmeldung aus der Schweiz

Nach mehreren Überarbeitungen des Vorschlags in der technischen Supportgruppe (TSG) konnte bis 2018 eine finale Ausarbeitung erzielt werden. Mittlerweile umfasst diese die Nutzung zentraler Repositories in denen die Market-Practice-Spezifikationen in elektronisch lesbarer Form verfügbar sind. Diese Version wurde kürzlich im Oktober 2019 auf der ISO 20022-Website veröffentlicht und bedeutet somit der erste Maintenance-Release überhaupt im knapp 10-jährigen Bestehen des BAH.
An der kürzlich stattgefundenen Sitzung der RMG in Foster City (USA) konnten die Schweizer Teilnehmer diese Erfolgsmeldung verkünden.
Im Hinblick auf die Anwendungen des BAH im Rahmen vieler renommierter Dienstleistungen und Lösungen im Finanzbereich muss sich der BAH mittlerweile nicht mehr verstecken. Sein Einsatz ist im Rahmen der folgenden Initiativen bereits umgesetzt oder vorgesehen:

• TARGET2Securities (T2S), European Securities Settlement Engine der EZB (BAH seit 2015 im Einsatz)
• TIPS (TARGET Instant Payment Settlement) Service der EZB (BAH seit circa 2017 im Einsatz)
• TARGET2, Real-Time Gross Settlement (RTGS) system der EZB,  (BAH ab circa 2021 geplant)
• ECMS (Eurosystem Collateral Management ­System) der EZBRT1 instant payment system von EBA Clearing (BAH ab 2021 geplant)
• RT1 instant payment system von EBA Clearing (BAH ab 2021 geplant)
• Kanadisches RTGS von Payments Canada (BAH ab circa 2022 geplant)
• CHAPS (Clearing House Automated Payment System) britisches RTGS der Bank of England (BAH ab circa 2022/23 geplant)
• Fedwire, US-amerikanisches RTGS von der ­Federal Reserve (FED) (BAH ab circa 2023)
• CHIPS, Private Sector USD Clearing System von TCH (BAH ab circa 2023)

Im Rahmen der Arbeiten zur Definition einer ­Market-Practice als Grundlage für die geplante Migration der globalen, grenzüberschreitenden Zahlungsflüsse vom Altstandard (MT) auf den aktuellen ISO 20022-Standard im weltweiten SWIFT-Netzwerk ist der Einsatz des BAH wieder auf der Agenda. Im Hinblick auf die zugehörige globale CBPR+ (Cross-Border Payments and ­Reporting Plus Market Practice) erscheint die Umsetzung der Schweizer Initiative aus 2014 gerade noch rechtzeitig erfolgt zu sein, um die ­CBPR+-Market Practice im BAH abbilden zu ­können.

Binnen weniger Jahre hat sich der BAH vom ­Nischendasein zum wesentlichen Eckpfeiler der ISO 20022-Standardisierung gemausert. Die SASFS TK STM kann stolz darauf sein, zu dieser Entwicklung einen nachhaltigen Beitrag geleistet zu haben.